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Marcin Rychły

Wer stimmt für Lukaschenko?

Für die einen ist er ein einfacher Kolchose-Bauer und skrupelloser Präsident, der das Land mit starker Hand regiert und für den es keine Alternative gibt. Für andere ist er der liebvolle und gütige Vater der Nation – auch bekannt als Batka – der von einer Wiederherstellung der Sowjetunion träumt und volksnah beim Heumachen oder der Kartoffelernte anpackt. Wer wird in der kommende Wahl am 11. Oktober für den amtierenden Präsidenten stimmen? Warum ist er nach 20 Jahren Amtszeit immer noch so beliebt?

37,4 Prozent der Belarussen würden für den amtierenden Präsidenten stimmen. Das geht aus einer Umfrage der unabhängigen Agentur IISEPS vom Juni 2015 hervor (http://iiseps.org/reliz/32/lang/en). Obwohl die OSZE bei den letzten vier Präsidentschaftswahlen Wahlbetrug feststellte, genießt der Präsident innerhalb der belarussischen Gesellschaft große Unterstützung.

Zuspruch bekommt Lukaschenko vor allem von älteren Personen, besonders von Rentnern, die sich nicht in der postsowjetischen Realität zurecht finden. Für sie, die nostalgisch derVergangenheit nachhängen, ist „Batka“ ein Ersatz für das alte System und verkörpert für sie die Zeiten, in denen die ganze Welt noch ihr Heimatland respektierte. Sie stimmen aus der tiefen Überzeugung heraus für ihren „Vater“ und glauben, dass die geringen aber pünktlich gezahlten Renten, der kostenlose Zugang zu öffentlichen Verkehrsmitteln sowie die niedrigen Nebenkosten ohne Lukaschenko nicht möglich wären. Gleichzeitig sind sie sich weder der steigenden Schulden noch der Tatsache bewusst, dass ihre Enkelkinder für diese Sozialleistungen in der Zukunft bezahlen werden müssen. Diese Rentnergeneration, die Lukaschenko vor 20 Jahren unterstützt hatte, wird langsam von der nächsten Senioren-Generation abgelöst, denen die soziale Absicherung ebenfalls wichtiger zu sein scheint als demokratische Werte.

Eine ähnliche Einstellung vertritt die einfach Bevölkerung, die in staatlichen Fabriken und Kolchosen beschäftigt ist. Die Postulate Freiheit und Transparenz innerhalb des Staates sind für sie nicht von Interesse. Am wichtigsten ist es ihnen, eine Arbeit zu haben und den Lohn dafür pünktlich ausbezahlt zu bekommen. Dass es mit der Demokratie hapert, wird abgetan als ausbaufähig und als etwas, das sie nicht direkt betrifft. Da sie fast immer in einem undemokratischen Land lebten, haben sie auch nur eine ungenaue Vorstellung davon, was Rechtsstaat bedeutet. Viele von ihnen haben sich nie wirklich mit der belarussischen Sprache und Kultur verbunden gefühlt. Puschkin steht ihnen näher als der belarussische Nationaldichter Janka Kupala und sie fühlten sich nicht davon beeinträchtigt, als Lukaschenko in den 1990ern den Gebrauch der belarussischen Sprache und die Verwendung der Nationalsymbole einschränken ließ. Darüber hinaus kommen Belarussen, wenn sie ihre Situation mit der in anderen ehemaligen Sowjetrepubliken vergleichen, zu dem Schluss, dass es ihnen gar nicht so schlecht geht. Auch im Human Development Index, der den weltweiten Wohlstand misst, schneidet Belarus nicht schlecht ab. Innerhalb der ehemaligen Sowjetunion (mit Ausnahme der baltischen Ländern) erreichte das Land 2014 mit Rank 53 den höchsten Platz und hängt zudem auch die zwei ärmsten EU-Länder Rumänien (Rank 54) und Bulgarien (Rank 58) ab.

Doch der Präsident wird auch von einem recht großen Teil der jungen Intellektuellen unterstützt – selbst von einigen, die im Westen leben und studieren. Für sie steht Alexander Lukaschenko für den einfachen Arbeiter, der das Land auf dieselbe Art und Weise regiert wie früher und gleichzeitig für Frieden und Stabilität sorgt. Auch wenn sie sich darüber im Klaren sind, dass das Land hauptsächlich von russischen Krediten lebt, es keine funktionierende Marktwirtschaft gibt, die Opposition zerschlagen ist und die Menschenrechte verletzt werden, schätzen sie die Stabilität und die Tatsache, dass es ihrem Land besser geht als der vom Krieg gebeutelten Ukraine. Sie wissen ebenso, wie die Aufstände in Libyen oder in Ägypten geendet sind. Lukaschenko wird als kleineres Übel gesehen – frei nach der Devise „Wer den Theaterdirektor austauscht, kann nicht erwarten, dass die Schauspieltruppe besser wird.“ So kann die weltbekannte Tennisspielerin Wiktoryja Azarenko als Beispiel für viele gelten: Sie nimmt gerne die Orden des Präsidenten entgegen, posiert auf gemeinsamen Fotos und äußert sich ausschließlich positiv über „Batka.“

Der zuvor erwähnte Krieg im Donbass wird definitiv die kommenden Wahlen beeinflussen. Die Angst, ein ukrainisches Szenario könnte sich auch in Belarus wiederholen, ist allgegenwärtig. Die Belarussen wissen, dass Moskau jede Art von Streitereien und Aufbegehren gegen Belarus verwenden kann. Mitten in einer ökonomischen Krise wollen die verängstigten Bürger, ganz pragmatisch gesehen, die relative Stabilität erhalten, die Lukaschenko zu garantieren scheint. Diejenigen, die sich dessen bewusst sind, werden vermutlich für ihn stimmen.

Es gibt einige Lukaschenko-Unterstützer, die denken, dass es keine Alternative zum amtierenden Präsidenten gibt. Das politische System von Belarus erscheint auch deshalb undemokratisch, weil die Opposition unglaublich schwach ist. Sie ist zerstritten und unfähig einen gemeinsamen Kandidaten für die Wahlen aufzustellen. Somit stellen selbst Regimegegner nicht die geringste Gefahr für Lukaschenko dar. Mit dem Ergebnis, dass sogar Menschen, die eigentlich nicht Lukaschenko wählen würden, ebenso wenig von den anderen Kandidaten überzeugt sind und sich letztendlich doch dafür entscheiden, „Batka“ zu unterstützen.

Dieses Mal werden erstmals auch Wahlberechtigte zur Urne gehen, die in der „Ära Lukaschenko“ geboren worden sind. Für viele junge Belarussen, die nie einen anderen Präsidenten als Lukaschenko erlebt haben, ist es schwer vorstellbar, dass es einen anderen Präsidenten als „Batka“ geben könnte. Zudem sind die meisten von ihnen noch nie im Westen gewesen. Ihre Nachrichten sowie ihre Unterhaltungsmedien stammen aus Russland – und Moskau bervorzugt Lukaschenko als Staatsoberhaupt.

Alexander Lukaschenko gewann die Wahlen vier Mal hintereinander. Im Oktober wird er vermutlich ein fünftes Mal gewinnen. Auch wenn sich die meisten über all die Schuld und die Wahlfälschungen des amtierenden Präsidenten bewusst sind, werden viele Belarussen am 11. Oktober für ihn stimmen. Lukaschenko würde vermutlich auch ohne Wahlfälschungen die Wahl gewinnen, möchte aber auf Nummer sicher gehen und den Ausgang der Wahl im Vorfeld arrangieren. Er möchte das Ergebnis bestimmen. Vielleicht wird das Szenario im Oktober einer Anekdote aus dem Jahr 2006 gleichen, als Lukaschenko der Meinung war, sein Wahlergebnis sei zu hoch. Es war ihm nicht „europäisch genug“, sodass er sich dazu entschloss, ein paar Stimmen abzugeben, um es europäischer aussehen zu lassen.

Autor

Marcin Rychły ist Journalist bei Eastbook.eu.

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PARTNERSCHAFT

Das Teaserbild ist eine Bearbeitung von "Belarus" von Marca Veraarta, es steht unter CC-BY-Lizenz.