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Maria

Wählen im Staatsbetrieb: Überstehe den Wahlkampf, bleibe beschäftigt

Ein junger Mitarbeiter in einem staatlichen Unternehmen erzählt darüber, wie der Wahlkampf und die Durchführung der Wahl in seiner Firma organisiert sind – und was sich über die Jahre geändert hat.

Während der Recherche zu diesem Artikel lernte ich den jungen Mann mit Hilfe von Freunden kennen. Erst nach sieben Tagen war er einverstanden mich zu treffen. Jetzt sitzt er vor mir, endlich bereit zu sprechen, und bittet mich um einen Gefallen, den man in Belarus nur schwer erfüllen kann – Anonymität.

Was würde passieren, wenn einer deiner Abteilungsleiter wüsste, dass du dieses Interview gegeben hast?

Sie würden mich feuern.

Wie hat alles für dich angefangen?

Vor ein paar Jahren, als ich gerade neu im Job war, bekam ich das Angebot bei der Wahl als Wahlhelfer in einem Wahlbüro oder als Wahlbeobachter teilzunehmen.

Das ist keine Überraschung. Bei jeder Wahl entsenden regierungsfreundliche Organisationen wie „Belaja Rus“ oder BRSM Wahlbeobachter zu den Wahllokalen. 2012 waren 707 Beobachter bei „Belaja Rus“ akkreditiert, 615 bei BRSM. Wer nun in Betracht zieht, dass während der Parlamentswahlen 110 Wahllokale im ganzen Land eingerichtet wurden, dem wird schnell klar, dass allein „Belaja Rus“ und BRSM höchstwahrscheinlich in jedes einzelne Wahllokal Wahlbeobachter entsendet haben. Nach den Wahlen wurde keine einzige Unregelmäßigkeit festgestellt. Aktivisten dieser Organisationen beteiligen sich auch als Wahlhelfer. Wie hast du dich entschieden?

Ich habe damals abgelehnt. Ich habe mich offen zu meiner bürgerlichen Position bekannt und wurde nie wieder angesprochen. Jetzt wussten sie, dass sie ein großes Problem mit mir haben würden. Sie hatten ja schon genug Probleme mit mir.

Welche?

Ich stelle unbequeme Fragen.

Wie war es vor drei Jahren bei der Parlamentswahl?

Als ich in der Firma anfing, war die Situation anders. Wir machten Profit, die wirtschaftliche Situation im Land war gut, keiner hatte Angst, seinen Job zu verlieren, denn man würde einen anderen finden. Aber drei Jahre später hatte sich viel verändert. Seitdem war die Unternehmensspitze ausgetauscht worden und bestand nun aus Leuten, die nicht nur loyal zum Regime standen, sondern Teil des Regimes geworden waren.

Was hatte das für Folgen?

Dieses Jahr haben sie jedem befohlen für Lukaschenko zu unterschreiben. Wer ablehnte, wurde auf eine halbmysteriöse Liste gesetzt. Gerüchten zufolge wollte die Firma 200 Unterschriften sammeln. Die gute Nachricht ist nun, dass sie dieses Ziel nicht erreicht haben und auf die Straße gehen mussten, um dort Wahlkampf zu betreiben. Das war auch eigentlich der ursprüngliche Plan, aber dann hat die Chefetage erkannt, dass es viel einfacher wäre, die Unterschriften der Mitarbeiter zu sammeln. Und fast das beste an der Sache ist, dass die Leute in der Firma sich absichtlich geweigert haben eine Unterschrift abzugeben, obwohl sie etwas zu verlieren hatten, besonders heutzutage. Menschen, die sich noch nie für Politik interessiert haben, Menschen mit Kindern, Menschen, die normalerweise ohne einen weiteren Gedanken unterschrieben hätten, weigerten sich.

Warum?

Der häufigste Grund ist, dass sie müde sind. Jahre ziehen ins Land und nichts verbessert sich, nichts ändert sich zum Guten. Man kann sich an Stabilität gewöhnen, aber nicht daran, ärmer und ärmer zu werden und mehr und mehr Rechte zu verlieren.

Manche scheinen sich daran zu gewöhnen.

Oh ja, man nennt es das nationale Stockholm-Syndrom (lacht).

Was passiert mir dieser „halbmysteriösen Liste“ der Unterschriftenverweigerer?

Ich denke, die Abteilungsleiter bekommen die Liste und schmeißen sie weg. Die Leute auf der Liste werden nicht gefeuert oder schlechter bezahlt, aber sie können sich keine Bonuszahlungen mehr erhoffen. Wenn du 60 Jahre alt bist, dann wirst du fürs nächste Jahr keinen Vertrag mehr bekommen. Wenn du wie ich Berufseinsteiger bist, wirst du niemals befördert werden. Alle guten Kunden werden an die „richtigen“ Leuten vermittelt.

Kannst du die Entscheidungen der Unternehmensleitung nachvollziehen?

Teilweise schon. Sie versuchen zu überleben. Seit unser Unternehmen keine Gewinne mehr erwirtschaftet, sind sie vollkommen von der Regierung abhängig. Sie haben Familien, Kinder zu versorgen. Vielleicht haben sie sich an einen bestimmten Lebensstandard gewöhnt und möchten ihn nicht aufgeben. Ich verstehe das, und um ehrlich zu sein: Ich wüsste nicht, was ich an ihrer Stelle tun würde.

Autorin

Maria möchte anonym bleiben.

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PARTNERSCHAFT

Das Teaserbild ist eine Bearbeitung von "Belarus" von Marca Veraarta, es steht unter CC-BY-Lizenz.