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Marcin Rychły

Wahlkampf im belarussischen Stil. Ein Tag mit Tatjana Korotkewitsch

Ein dreiköpfiges Team von „Belarus Votes“ begleitete Tatjana Korotkewitsch am 7. Oktober auf ihrer Wahlkampftour. Sie ist die erste Frau in der belarussischen Geschichte, die im Rennen um das Amt des Präsidenten genügend Unterstützerunterschriften sammeln konnte, um zur eigentlichen Wahl zugelassen zu werden.

Wer ist Tatjana Korotkewitsch? „Ich habe keine Ahnung, wer sie ist und woher sie kommt“, antwortet der Mann mit der für Belarus typischen Zurückhaltung. Sein Name ist Mischa, ein junger Busfahrer, der die Journalisten in Richtung belarussisch-russische Grenze bringen wird. Genauer: in die Region Orscha im Osten des Landes.

Ihr niedriger Wiedererkennungswert ist das größte Problem von Korotkewitsch – 38 Jahre alt und Psychologie-Absolventin der Universität in Minsk. Am Tag vor der Wahlkampftour kamen bei einem Treffen vor einem Supermarkt im Zentrum der belarussischen Hauptstadt nur wenige Menschen, um der Präsidentschaftskandidatin zuzuhören. Vor allem Studenten und ältere Menschen suchten nach etwas Unterhaltung.

Foto: Marcin Rychły

Korotkewitschs Wahlkampfteam: 10 Personen

Nun, kurz vor Beginn ihrer Tour, erscheint Korotkewitsch in einem schlichten, aber modernen Rock und einem passenden Mantel in ihrer Minsker Wahlkampfzentrale. Sie spricht kurz mit ihrem Kampagnenleiter und lässt sich schnell von einem ARD-Kamerateam interviewen. Dann geht es los. Während der Fahrt in den Osten von Belarus begleiten sie nur eine handvoll belarussische und internationale Journalisten, Korotkewitschs Wahlkampfteam besteht aus weniger als 10 Personen.

Der erste Stopp ist in Ljady geplant, einem kleinen Dorf unmittelbar an der Grenze zu Russland. Größtenteils führt die Fahrt dorthin über neue und moderne Autobahnen, wie sie auch in Westeuropa zu finden sind. Die sie umgebene Landschaft, ein Teil der Osteuropäischen Ebene, ist monoton. Durchbrochen wird die Szenerie einzig durch die russische Pop-Musik aus dem Telefon des Fahrers.

Wahlkampf am Ende der Welt

Je näher man dem Ziel kommt, desto mehr ändert sich die Umgebung: In der Provinz ist die Infrastruktur deutlich schlechter, die Häuser sehen ärmlicher aus, viele scheinen gänzlich verlassen. Nach nur zwei Stunden Fahrt von Minsk befindet man sich inmitten von Nirgendwo. Ab jetzt geht es für die Wahlkampf-Entourage durch Wiesen und Felder. Anzeichen von Siedlungen sind kaum mehr sichtbar. Worin liegt der Sinn, hier – am Ende der Welt – Wahlkampf zu führen?

Die Journalisten warten auf Korotkewitsch in der Nähe eines kleinen Geschäfts in Dubrouna. Die örtlichen Behörden untersagten die Durchführung an einem besseren Ort. Nur ein paar Rentner und Hausfrauen sind zum Treffen mit der Präsidentschaftskandidatin gekommen. Keine Fahnen, keine Musik, keine Stimmung. Ganz anders, als man es von Wahlen in Westeuropa kennt. Einzig ein Zettel mit Informationen über die Kandidatin und das geplante Treffen hängt neben der Ladentür. In etwa 100 Meter Entfernung vom Versammlungsort steht geheimnisvoller, wie aus der Zeit gefallener Lada. Drinnen sitzen vier Gestalten. Drei Männer und eine Frau blicken nervös hinüber zur Wahlveranstaltung. Der KGB schaut zu, nicht mehr und nicht weniger. Normalität in Belarus.

Foto: Marcin Rychły

„Sag mir, wie kann eine Frau das Land führen?“

„Sie ist aus der Hauptstadt, was weiß sie schon? Das Leben hier ist kein Zuckerschlecken, aber es ist auch nicht alles schlecht. Belarus hat seinen Präsidenten, wir brauchen keinen neuen“, so die Antwort eines nervös dreinblickenden Bürgers auf die Frage, was er von Korotkewitsch halte. Nach kurzem Überlegen fügt er hinzu: „Sag mir, wie kann eine Frau das Land führen?“

Korotkewitsch erreicht die Veranstaltung pünktlich, einer ihrer Wahlkämpfer hisst eine weiß-rot-weiße Fahne. Das öffentliche Zeigen der Flagge, mit der Zeit zum Symbol der Opposition avanciert, ist zwar offiziell nicht verboten. Jedoch wird die Flagge von den Behörden als unregistriertes Symbol gewertet, was unter Umständen zur ihrer Konfiszierung und zur Verhaftung der Verantwortlichen führen kann. Daneben verteilt der lax gekleidete regionale Leiter von Korotkewitschs Wahlkampfteam Flyer.

Keine ernsthafte Gegenkandidatin zu Lukaschenko

Sie selbst wirkt weniger gut vorbereitet. Weder Korotkewitsch noch jemand aus ihrem Team hält eine eigene Rede. Es fällt schwer zu glauben, dass sie so Alexander Lukaschenko ernsthaft entgegentreten kann. Allerdings versucht Korotkewitsch so gut wie möglich, alle ihr gestellten Fragen zu beantworten. Sei es auf Russisch oder Belarussisch, was eher untypisch für belarussische Politiker ist. So wird Korotkewitsch von einer Hausfrau schüchtern über ihre Belarussisch-Kenntnisse befragt, worauf die Kandidatin antwortet: „Ich werde die belarussische Sprache verwenden, wenn ich Präsidentin von Belarus geworden bin.“ Es fällt auf, dass sie nicht die beste Rednerin ist. Und, was noch viel wichtiger ist, sie scheint selbst kaum an das zu glauben, was sie sagt. Eine Präsidentschaft in der nahen Zukunft scheint noch zu abstrakt.

Die umstehenden Zuhörer sind wenig angetan, das zeigt die Reaktion einer älteren Frau mit Kopftuch: „Für mich garantiert Lukaschenko die Sicherheit unserer Wirtschaft und gute Sozialleistungen. Wir brauchen keinen neuen Präsidenten, wir brauchen überhaupt keinen anderen Präsidenten.“

Foto: Marcin Rychły

Wahlkampf vor dem Jesuiten-Kloster und in der Schule

Nächster Halt: Orscha. Die Stadt mit ihren 115.000 Einwohner liegt in der Nähe des Ortes, wo im 16. Jahrhundert Polnisch-Litauisch-Belarussische Truppen die Moskowiter Armee schlugen. Bei jener Schlacht tauchte erstmals die weiß-rot-weiße Flage auf, bis heute Symbol eines freien und unabhängigen Belarus. Zugleich die Flagge, die auch bei Korotkewitschs Wahlkampf in Orscha weht.

Dort sind zwei Veranstaltungen geplant: Ein Treffen vor einem Jesuiten-Kloster und ein weiteres in einer Schulaula. Der Ablauf und die Reaktionen der Zuhörer gleichen denen in Dubrouna. Wieder sind nur wenige Leute interessiert an der Präsidentschaftskandidatin, ihr Team verteilt abermals Flyer an Passanten und erneut beobachten Männer mit Ferngläsern die Situation aus einem Lada heraus.

Foto: Marcin Rychły

Drinnen in der Aula der Schule warten bereits einige Dutzend Leute auf Korotkewitsch. Sie beginnt über ihre Eltern, ihren Ehemann – einen Maurer – und ihren jungen Sohn zu erzählen. Sie präsentiert sich als typisch belarussische Frau mit gewöhnlichen Problemen. Anders als bei den Fragerunden zuvor werden aber auch deutlich ernstere Problembereiche angesprochen.

So stellen die Anwesenden Fragen über die Beziehungen zu den Nachbarstaaten Belarus’ oder die Struktur der Armee. Am Ende kommentiert Korotkewitsch sogar Lukaschenkos Herrschaft: „Der Batka [Lukaschenko – die Red.] hat eigentlich ein Gefängnis für sich selbst errichtet. Sein Palast ist ein goldener Käfig, aus dem er nicht entkommen wird.“ Nach diesen Worten applaudieren die Zuhörer für längere Zeit – die erste und zugleich letzte positive Reaktion des ganzen Wahlkampftages.

Foto: Marcin Rychły

Zwiebeln, Cognac und Gurken nach dem Wahlkampf

Anschließend lädt sie die Gäste in ein altes belarussisches Landhaus ein. Aufgrund seines Alters wirkt dieses ein wenig heruntergekommen, hier und dort auch etwas kaputt. Das kleine und nicht gerade repräsentative Gebäude ist der Sitz des örtlichen Unterstützerteams. Nichts desto trotz ist die Stimmung ausgezeichnet, es wird georgischer Cognac gereicht. Auch wenn alles wenig professionell und eher improvisiert wirkt, so lagern einige Zwiebeln unter dem Bett und Gurken liegen zwischen den Betten: Die Szenerie ist einladend. Allerdings zeigt sie auch: Noch sind die Leute um Korotkewitsch, ebenso wie sie selbst, noch nicht bereit, das Land zu führen.

Foto: Marcin Rychły

So bleibt die wichtigste Frage für die Zeit nach der Wahl: Wie sieht Korotkewitschs Zukunft aus? Denn bei der eintägigen Begleitung des Wahlkampfes in der Provinz wurde ebenfalls deutlich, dass einige Belarussen kein Interesse an einem Machtwechsel haben. Sie wollen ihr einfaches, aber gewohntes Leben weiterhin führen. Eben so wie Mischa, der Busfahrer.

Autor

Marcin Rychły ist Journalist bei Eastbook.eu.

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PARTNERSCHAFT

Das Teaserbild ist eine Bearbeitung von "Belarus" von Marca Veraarta, es steht unter CC-BY-Lizenz.