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Irina

Wahlen in Belarus

Wahlen in Belarus waren immer von einem Schleier aus Lügen und Gerüchten umgeben. Lasst uns aufhören Sand in die Augen zu streuen und sehen wir auf die Fakten.

Bei den ersten Wahlen im unabhängigen Belarus hätte Lukaschenko an der Altershürde scheitern können. Damals war er 39 Jahre alt. Die Autoren der Verfassung von 1994 waren sich bei der Altershürde für Präsidentschaftskandidaten nicht gleich einig. Eine der Varianten sah ein Mindestalter von 40 Jahren vor. Letztendlich wurde die Altershürde auf 35 Jahre gesenkt.

Immer vor den Wahlen findet ein Prozess der sog. „Wohlstimmung" des Volkes statt. Lukaschenko befahl, Haushaltsmittel ausfindig zu machen für eine Rentenerhöhung um 5% zum 1. September. Hinzu kommt noch ein nicht ganz offensichtliches Geschenk: Am 25. August 2015 wurden die zeitlichen Verkaufsbeschränkungen für alkoholische Getränke aufgehoben.

Man kann keine freien Wahlen in einer unfreien Gesellschaft durchführen. Ende 2005 wurde bekannt, dass praktisch alle unabhängigen Zeitschriften vom System der staatlichen Verbreitung ausgeschlossen wurden. Der Verbindungskanal mit potentiellen Wählern, der auch so schon eng war, wurde ernsthaft beschädigt. Einen Monat vor den Wahlen 2006 wurden drei Mitglieder der nicht-registrierten Organisation „Partnerschaft" in Minsk verhaftet: Timofej Drantschuk, Aleksandr Schalajko, Enira Bronizkaja und Nikolaj Astrejko.

In diesem Jahr wurden neue Prozesse eingeleitet gegen solche, die mit ausländischen Medien ohne Akkreditierung zusammenarbeiten. Seit dem Frühling diesen Jahres wurden schon ca. 10 belarussische Journalisten für die Arbeit ohne Akkreditierung bestraft. Derzeit warten weitere solcher Administrativ-Prozesse auf eine gerichtliche Untersuchung. Einer davon betrifft den Journalisten Andrej Meleschko aus Grodno (der dritte Prozess in diesem Jahr, zuvor wurden ihm Materialien auf der Seite des Belostoker Senders „Radio Razyja" zur Schuld gelegt). Ein weiterer Prozess betrifft Ales' Salewskij, einen Mitarbeiter des Fernsehsenders „Belsat" (welcher zum öffentlich-rechtlichen Fernsehbetreiber TVP in Polen gehört).

Die Praxis der vorzeitigen Wahl existiert in den meisten Ländern Europas. Gewöhnlich nutzen diese Möglichkeit 1-2, maximal 5 Prozent der Wähler – in Belarus wählen jedoch 40% vorzeitig.

Zur vorzeitigen Wahl werden Studierende, Auszubildende, Wehrdienstleistende sowie Mitarbeitende von staatlichen Organen und Einrichtungen gezwungen.

Aktivisten der Kampagne „Für gerechte Wahlen" konnten zig Beweise festhalten, wie Studierenden mit dem Rausschmiss aus dem Wohnheim oder mit Problemen bei den Prüfungen gedroht wird. Nach Informationen von Wahlbeobachten, lag so die Wahlbeteiligung in den „studentischen" Wahllokalen innerhalb von drei Tagen bei 45%.

Erzwungene Stimmabgabe im staatlichen Technik-Kollege Minsk (Video)

Erzwungene Stimmabgabe von Studierenden (Audio)

Fakten über die Nötigung zur Stimmabgabe.

Auch erwähnt werden müssen die Verstöße, die von unabhängigen Wahlbeobachtern festgehalten wurden. Beispielsweise wurde die Wahlurne im Wahllokal Nr. 28 von Baranowitschi über Nacht entfernt und in eine andere Räumlichkeit, wo angeblich eine Alarmanlage installiert sei. Erst durch die Einmischung eines internationalen Wahlbeobachters der OSZE konnte diese illegale Bewegung der Wahlurne unterbunden werden.

Weder im Wahlkodex der Rebuplik Belarus noch in den Verordnungen der Zentralen Wahlkommission ist die Rund-um-die-Uhr-Beobachtung der vorzeitigen Stimmabgabe untersagt. Dennoch wurde Wahlbeobachtern der Kampagne „Für gerechte Wahlen" lediglich in zwei von 250 angefragten Wahllokalen die Möglichkeit dazu gewährt.

Die größte Offenbarung jedoch kam vom Vorsitzenden einer lokalen Wahlkommission in Mogiljow: Unter Garantie der Anonymität teilte er sein Wissen über die Methoden, welche Lukaschenko seit Jahren einen „eleganten Sieg" ermöglichen:

„Vor den Wahlen sollte ich in die Listen ca. 10-12% Namen von Personen eintragen, die gar nicht in unserem Wahlbezirk leben (d. h. ich sollte die Daten von Personen hinzufügen, welche dann – nach Stimmabgabe in ihrem eigenen Wahlbezirk – noch ein zweites Mal hier abstimmen können). Im Rahmen dieser 10-12% kommen dann vorbereitete Leute, meistens Lehrer oder Aktivisten der [regierungstreuen Jugendorganisation, Anm. d. Red.] BRSM, oder auch Mitarbeiter unterschiedlicher Ämter, die man auf die Wahlfälschung vorbereitet hat. Diese 10-12% sollen dann in mein Wahllokal kommen, obwohl sie gar nicht zu meinem Wahlbezirk gehören. Für wen sie dann wählen, ist allen klar, aber das wichtigste ist, dass die Namen irgendwie markiert sind – in jedem Wahllokal auf eigene Weise. Diese Leute tun nur so, als würden sie für die Aushändigung des Stimmzettels unterschreiben. Tatsächlich wird jedoch keine Unterschrift gemacht. Für den Fall, dass am letzten Tag die Wahlbeteiligung zu niedrig ist, müssen diese Leute dann kommen und mehrfach abstimmen (wenn Wahlbeobachter kommen, unterschreiben sie zunächst für sich, dann für alle, die nicht gekommen sind – am Ende des Tages). Abgesehen davon haben die natürlich auch schon einmal vorzeitig abgestimmt.

Außerdem sind zusätzliche Auswärts-Urnen vorbereitet mit einer Kopie der Versiegelung und der sonstigen Plomben. Das betrifft besonders die Wahlkommissionen auf dem Land. Der Sinn der Technologie ist einfach: Speziell geschulte Leute gehen mit den Urnen von Haus zu Haus, von Wohnung zu Wohnung, und in einem der Häuser, welches unbedingt das letzte sein muss, ist dann die „Kopie" der Urne versteckt. Wenn die entsprechenden Wahlkommissionsmitglieder sich dem Haus nähern, müssen sie per SMS mitteilen, wie viele Stimmzettel in ihrer Urne sind. Während sie zum Haus gehen, werden dann Stimmzettel für den „gewünschten" Kandidaten in entsprechender Anzahl in die Urne geworfen. In diesem letzten Haus wird dann während der häuslichen Stimmabgabe die richtige Urne mit der „Kopie" ausgetauscht. Da ist eine ganze Strategie ausgearbeitet worden, wie in diesem Moment die Beobachter abgelenkt werden, falls es sie überhaupt gibt.

Nach der vorzeitigen Stimmabgabe, in der Nacht vor dem Hauptwahltag hinterlasse ich meinen Schlüssel vom Wahllokal, das Siegel der Urne, sowie das Dokument mit den Unterschriften der Wahlkommissionsmitglieder einem der Kuratoren für die Region, welche die Wahlen kontrollieren. Was er damit macht, ist klar.

Während der Auszählung legen die Kommissionsmitglieder die Stimmzettel in Stapeln zusammen, laut werden jedoch keine Zahlen gekannt. Die Stapel mit den bleistiftgeschriebenen Ziffern übergeben sie mir oder dem Sekretär, und wir legen sie so zusammen, dass für den amtierenden Präsidenten mindestens 65% rauskommen, füllen das Protokoll aus und rufen dann den Kurator an, um ihm die Ergebnisse mitzuteilen. Zu uns kommt ein Auto, in dem dann schon genau solche Stapel mit genau den Ergebnissen vorbereitet sind, und wir fahren mit dem Auto zur Regional-Kommission. Dort laden wir die vorbereiteten Stapel aus, das Auto fährt mit den echten Stimmzetteln weg. Wenn später jemand unzufrieden mit den Ergebnissen ist, kann er gerne die Stimmzettel nachzählen!"

Hoffen wir, dass in Zukunft die Wahlen immer mehr einem demokratischen Prozess gleichen mögen – und weniger einem Anlass für Witze.

Autor

Irina

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PARTNERSCHAFT

Das Teaserbild ist eine Bearbeitung von "Belarus" von Marca Veraarta, es steht unter CC-BY-Lizenz.