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Anne Reis

Wählen im Ausland: Deutschland

Die belarussische Botschaft in Deutschland gibt an, dass drei Millionen Belarussen außerhalb ihrer Heimat leben. Wiktoryja Halkina* wohnt in Regensburg und wird zum ersten Mal im Ausland wählen gehen. Hier wie dort, jeder in ihrer Familie steht vor dem gleichen Problem: Wen wählen?

In einer Woche sind die Wahlberechtigten der knapp zehn Millionen Einwohner zählenden Republik Belarus sowie die drei Millionen Exil-Belarussen dazu aufgerufen, ihren Präsidenten zu wählen. Allein über 600 Belarussen studieren an der Europäischen Humanistische Universität (EHU) in Vilnius – für viele steht das E aber mehr für Exil. Mittlerweile sind einige belarussische NGOs sowie andere Organisationen in der litauischen Hauptstadt angesiedelt. Aber nicht nur in der litauischen Hauptstadt, sondern auch in Polen und Deutschland leben zahlreiche Belarussen im Exil.

Vor acht Jahren beschloss Wiktoryja Halkina*, ihr geschichtswissenschaftliches Studium nicht in Belarus zu beenden, sondern für ein Freiwilliges Soziales Jahr nach Stuttgart zu ziehen. „Ich wollte meine Sprachkenntnisse verbessern, um anschließend in Deutschland mein Studium fortzuführen. In der Geschichtswissenschaft sind die Forschungsmöglichkeiten in Belarus sehr eingeschränkt, der internationale Austausch war mir zu gering“ – sagt die Osteuropahistorikerin in einem Interview. Das Hochschulsystem wird von vielen als antiquiert bezeichnet. Kritische und mit der Politik des Landes nicht konforme Forschung wird nicht beachtet oder zieht gar negative Konsequenzen nach sich. Besonders kritische Aussagen sind auch schon mit Exmatrikulation geahndet worden. Während ihres zweijährigen Masterstudiums fuhr die Wahl-Regensburgerin mindestens einmal jährlich nach Hause, um Freunde und Familie zu besuchen. Für ihr anschließendes Promotionsprojekt ist sie seit dem Studienabschluss auch beruflich häufig in ihrem Heimatland. Sie forscht zur Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg – ein brisantes Thema. Die Geschichtspolitik des Landes wird von der historischen Forschung als einseitig bewertet.

Auch wenn sie sich selbst nicht als politisch aktiv bezeichnen würde, so verfolgt die Nachwuchswissenschaftlerin doch die Geschehnisse und Entwicklungen im Land. Dieses Jahr möchte sie auch von ihrem Wahlrecht im Ausland Gebrauch machen. Bisher hatte sie das nicht getan, doch vor allem die Ereignisse nach der Präsidentschaftswahl im Dezember 2010, der offensichtliche Wahlbetrug sowie die zahlreichen Verletzungen der Menschenrechte gaben ihr den Anstoß, dieses Jahr ihre Stimme abzugeben. Über den technischen Prozess, wie sie ihr Wahlrecht in Anspruch nehmen kann, muss sie sich erst noch informieren. Zu den Kandidaten hat sie schon recherchiert. Ernüchternd sagt sie: „Ich habe mir die Kandidaten angeschaut. Entweder werde ich für keinen meine Stimme abgeben oder aber für Tatjana Korotkewitsch, um wenigstens eine alternative Kandidatin zu unterstützen.“ Richtig überzeugt klingt sie nicht.

Viele Belarussen können sich kaum vorstellen, wer eine wirkliche Alternative zu Lukaschenko darstellen könnte. Wer bei der Präsidentschaftswahl als Kandidat registriert werden möchte, dessen Wahlhelfer müssen bis sechs Wochen vor der Wahl mindestens 100.000 Unterstützungsunterschriften von belarussischen Bürgern gesammelt haben. Es stehen Stände in den Städten und Dörfern, wo die Unterschriften eingetragen werden können. Bei einer Reise nach Belarus in diesem Sommer fiel Halkina auf, dass sie in ihrer Heimatstadt im Osten des Landes mehr als sechs Stände für Lukaschenko sah, aber keinen einzigen für einen der Gegenkandidaten – bei früheren Wahlen war dies anders gewesen. Anscheinend sei das aber in dem Land, in dem seit 21 Jahren immer derselbe zum Präsidenten gewählt wird, sonst niemandem aufgefallen.

„Meine Eltern haben nie für Lukaschenko gestimmt. Aber es wird einem nicht leicht gemacht, wenn man einen anderen Kandidaten wählen möchte. Meine Mutter wollte bei der vergangenen Präsidentschaftswahl im Jahr 2010 zu einer Informationsveranstaltung mit dem Oppositionskandidaten Mikalaj Statkewitsch gehen, aber diese fand spät am Abend im Winter und weit außerhalb vom Stadtzentrum statt. Außerdem hätte sie damit rechnen müssen, vom belarussischen Geheimdienst beobachtet zu werden. Entmutigt von diesen Umständlichkeiten ging sie letztendlich nicht hin.“ Die Stimmung im Dezember 2010 sei angespannt, aber hoffnungsvoll gewesen, wie sie von ihrer Mutter weiß. „Meine Mutter sprach damals von einer Umbruchstimmung. Man hatte das Gefühl, dass sich etwas ändern könnte. Von den Repressionen und der Gewalt gegenüber den Demonstranten wurden deshalb viele überrascht und auch mich hat es schockiert.“ Doch besonders seit dem Russland-Ukraine-Konflikt sieht die 29-jährige – wie viele andere – schwarz für einen Wandel im Wahlverhalten der Belarussen. Die Menschen seien verunsichert und wollten auf keinen Fall, dass Belarus mit Russland in einen Konflikt gerät. Für die meisten Lukaschenko-Wähler stehe der amtierende Präsident für Stabilität und wisse, wie er mit Russland umzugehen hat. So auch für Halkinas Großvater, dem Stabilität und Frieden mit Russland am wichtigsten sei. Es scheint somit auch eine Generationenfrage zu sein. Ihr Großvater bekomme nur noch wenig von seinen Enkelkindern mit – sie lebt in Deutschland, ihr Bruder in Litauen. Er sehe nicht, wie sehr gerade die junge Generation unter der stagnierenden Entwicklung, den fehlenden Reformen im Bildungssystem und der Isolation des Landes leidet.

* Um die Identität unserer Interviewpartnerin zu schützen, wurden alle persönlichen Informationen geändert.

Autor

Anne Reis studiert derzeit Osteuropastudien in München

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PARTNERSCHAFT

Das Teaserbild ist eine Bearbeitung von "Belarus" von Marca Veraarta, es steht unter CC-BY-Lizenz.