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Rainer Bobon

Stellt der „große Bruder“ Lukaschenko ein Bein?

Im Hinblick auf die Wahlen im Oktober stellt sich der amtierende Präsident als Garant der Unabhängigkeit seines Landes dar. Russische Pläne für eine Luftwaffenbasis in Belarus könnten ihn nun in Erklärungsnöte bringen.

Alexander Lukaschenko gilt als ein Meister des Lavierens. Besonders virtuos spielt er diese Fähigkeit seit Beginn des Ukraine-Konflikts aus. Einerseits kritisiert er die Annexion der Krim durch Russland und wirft der Ukraine militärische Nachgiebigkeit vor. Andererseits spielt er den Part des treuen Bündnispartners, der Verständnis für die strategischen Interessen des russischen „Brudervolkes“ aufbringt. Mit der Ausrichtung der Friedensgespräche in Minsk gelang Lukaschenko zweifelsohne ein PR-Coup: Er konnte sich als umsichtiger, in Berlin und Paris ebenso wie in Moskau geachteter Staatsmann geben, der sein Land sicher durch unruhige Zeiten führt. Ein Image, das er auch im Hinblick auf die Präsidentschaftswahlen am 11. Oktober nur zu gerne kultiviert.

Denn seit Russland sich der Krim bemächtigt und den Donbass ins Chaos gestürzt hat, lässt sich in Belarus mit der Unabhängigkeit des Landes wieder Politik machen. Und so entwickelten die Berater des seit 1994 amtierenden Präsidenten pünktlich zur ersten Phase des Wahlkampfs einen neuen Wahlspruch: „Für die Zukunft des unabhängigen Belarus!“ In Zeiten wirtschaftlicher Stagnation, steigender Arbeitslosigkeit und sinkender Reallöhne wäre Lukaschenko allerdings auch schlecht beraten gewesen, den bei den drei vorhergehenden Präsidentschaftswahlen verwendeten Slogan „Für ein starkes, blühendes Belarus!“ zu reaktivieren.

Neuer Slogan, neue Wähler?

Eine auf die Erhaltung des status quo abzielende Kampagne kommt dem Amtsinhaber, der anders als vor vergangenen Wahlen diesmal nicht mit kurzfristigen Gehaltserhöhungen und sozialpolitischen Wahlversprechen für sich werben kann, also äußerst gelegen. Wählt mich, sonst teilt Belarus das Schicksal der Ukraine – so die mal mehr, mal weniger deutlich geäußerte Botschaft an die Wähler. Experten sehen diese Akzentverschiebung auch als Angebot an Wähler, die Lukaschenko sonst kritisch gegenüber stehen. „Hinsichtlich eines unabhängigen Belarus regt sich keinerlei Widerspruch – weder in der politischen Sphäre, noch in der Bevölkerung“, sagt Waleri Karbalewitsch, Autor eines politischen Porträts des belarussischen Präsidenten, gegenüber dem Nachrichtenportal naviny.by. „Andererseits“, so Karbalewitsch weiter, „wurde dieses Problem [die Frage der Unabhängigkeit] im Hinblick auf die ukrainischen Ereignisse aktueller.“ Die Opposition weise ständig darauf hin, dass Russland die belarussische Unabhängigkeit gefährde, nun habe sich eben auch der Präsident dieses Thema zu eigen gemacht. Er inszeniere sich nicht nur als Garant von Ordnung und Unabhängigkeit, sondern setze sich regelrecht mit Belarus gleich: „Das staatliche ideologische Konstrukt führt diese Linie fort und setzt die Zukunft von Belarus, die Unabhängigkeit des Landes mit dem Bild Lukaschenkos gleich. Aus PR-Sicht ist das alles logisch“, sagt Karbalewitsch.

Die eigene Schutzmacht als potenzielle Gefahr?

Wenn Lukaschenko als Furcht erregendes Gegenbild zu seiner Herrschaft ein „ukrainisches Szenario“ heraufbeschwört, sieht er die Bedrohung für sein Land vor allem in einer russischen Invasion. Ein solches Bild zeichnen zumindest die zahlreichen Sticheleien, die er sich in den vergangenen Monaten gegenüber der Regierung des „Brudervolks“ erlaubte. Da wären zum einen politische Gesten: Das Gesetz über den Kriegszustand wurde im Februar unter anderem um Regelungen für den Fall einer Invasion irregulärer Streitkräfte ergänzt, das Sankt-Georgs-Band flächendeckend durch ein Äquivalent in den belarussischen Nationalfarben rot und grün ersetzt und der Flirt mit der EU fortgesetzt. Zum anderen sendet Lukaschenko in regelmäßigen Abständen rhetorische Giftpfeile gen Osten. Im Januar verkündete er auf einer Pressekonferenz in Minsk, dass Belarus nicht Teil der von Russland proklamierten „russischen Welt“ (russ.: russkij mir) sei. Es sei seine Aufgabe, die territoriale Integrität seines Landes zu verteidigen. Anfang August wiederholte er vor Journalisten seine Kritik am Konzept der „russischen Welt“ – sie sei nur ein dummer propagandistischer Einfall – und nannte die Darstellung des Ukraine-Konflikts in den russischen Medien „lächerlich“. Zugleich nannte er Russland „den älteren Bruder“ und verkündete, dass dieser Belarus niemals angreifen werde. Etwas mehr als eine Woche später beschuldige Lukaschenko dann Russland, ihn wegen seiner angeblichen Hinwendung zum Westen zu schikanieren. Das Nachbarland liefere ihm als Bündnispartner weder Waffen noch für deren Bau nötige Teile und habe es darauf abgesehen, ein Minsker Fahrzeugunternehmen zum Schleuderpreis zu kaufen, dass unter anderem auch Militärtechnik herstellt.

Störfeuer aus Moskau

Derartige Vorstöße des belarussischen Präsidenten veranlassten russische Medien gar zu der These, dass Lukaschenko sich von Russland „abgewandt“ habe. Das ist sicher übertrieben. Offensichtlich will Lukaschenko aber demonstrieren, dass er sich gegenüber Russland auf Augenhöhe bewegt. Die Regierung Putin ließ sich das bislang weitestgehend widerspruchslos gefallen, schließlich ist Lukaschenkos Regime immer noch der treueste unter den wenigen Verbündeten Moskaus. Am 2. September trat Premierminister Medwedew nun aber mit dem Beschluss an die Öffentlichkeit, Belarus die Einrichtung einer russischen Luftwaffenbasis auf dessen Territorium vorzuschlagen – um die gemeinsame Außengrenze des russisch-belarussischen Unionsstaates zu sichern, so Medwedew vor dem Ministerrat. Entsprechende Pläne kursieren schon seit Jahren in den Medien, zuletzt wieder im August, dass sie aber nun ausgerechnet im Vorfeld der Wahlen offiziell verkündet werden, kommt Lukaschenko äußerst ungelegen. Das Thema russische Militärpräsenz erzeugt in der Bevölkerung Unbehagen – und noch Anfang August hatte der Präsident die Bedeutung der beiden bereits bestehenden russischen Basen in Belarus heruntergespielt. „Russische Flugzeuge gibt es hier bei uns nicht“, so das Staatsoberhaupt. Stört Russland also gezielt Lukaschenkos Wahlkampf, um ihn in die Schranken zu weisen? Oder forciert es die Verlegung eines Geschwaders von Kampflugzeugen nach Belarus – als wahrscheinlichster Standort gilt Bobrujsk – als Reaktion auf die verstärkte Aktivität der NATO in deren osteuropäischen Mitgliedsstaaten? Beide Varianten finden unter Experten ihre Anhänger. Während der belarussische Analytiker Andrej Fjodorow gegenüber naviny.by die Ansicht äußerte, dass der russische Vorstoß einzig der NATO gelte, sagte der Militärexperte Alexander Alesin dem gleichen Portal, dass Moskau Lukaschenko zeigen wolle, dass „das Maß seiner Selbständigkeit begrenzt ist“. Letztlich werde alles nach dem alten Muster „Ermäßigungen und Subventionen gegen strategische Zugeständnisse“ ablaufen.

Eine bittere Pille

Von solchen Ermäßigungen und Subventionen aus Russland wird Lukaschenkos Regime auch weiterhin abhängen. Allein die Einsparungen durch Energie zum „Freundschaftspreis“ entsprechen jährlich rund 15 Prozent des BIP. Lukaschenko kann also dem „großen Bruder“ den Wunsch nach baldiger Einrichtung des Luftwaffenstützpunkts kaum abschlagen. Zumal Russland neben den Finanzen noch einen Trumpf im Ärmel hat: Äußert es Zweifel am ordnungsgemäßen Ablauf der Wahl, brechen für Lukaschenko schwere Zeiten an. Doch vorerst muss der langjährige Amtsinhaber wohl erst einmal seine Wahlkampfstrategie überarbeiten. Die oppositionelle Gegenkandidatin Tatjana Korotkewitsch hat das für ihn so unangenehme Thema bereits aufgegriffen und russische Stützpunkte in Belarus gegenüber der Nachrichtenagentur BelaPAN als „Gefahr für die nationale Sicherheit“ bezeichnet. Auch wenn Lukaschenko die Wahl ohnehin gewinnen wird: Man darf gespannt sein, wie er sich aus dieser neusten Verlegenheit herauslaviert.

Autor

Rainer Bobon studiert derzeit Osteuropastudien in München

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PARTNERSCHAFT

Das Teaserbild ist eine Bearbeitung von "Belarus" von Marca Veraarta, es steht unter CC-BY-Lizenz.