powered by eastbook
Bartosz Rutkowski

Lukaschenkos Marionette(n)

Eine hohe Anzahl von Kandidaten für ein offizielles Amt ist ein gesundes Symptom einer jeden achtbaren Demokratie. Aber auch in Belarus muss sich Lukaschenko Herausforderern stellen. Mindestens einer von ihnen scheint nur Marionette des Systems zu sein.

Derzeit zählen die USA über zehn Präsidentschaftskandidaten, was keineswegs einen Rekord darstellt. Oft überraschen uns die unwichtigsten Kandidaten mit ihrer Entschlossenheit. Dadurch können sie ihre zweitrangingen politischen Ziele erreichen, wie etwa die Vermarktung ihrer selbst, ihrer Parteien oder eine höhere Stellung in der Politik. Manchmal werden sie sogar zum Präsidenten gewählt. Dieses Phänomenen konnte man im Mai 2015 in Polen beobachten, als mit Andrzej Duda ein weitgehend unbekannter Politiker zum Präsident der Republik Polen gewählt wurde. Darüber hinaus ereignen sich Präsidentschaftswahlen – und eigentlich jede Art von Wahlen – auf einer dynamischen und sich schnell ändernden, gespaltenen Bühne, wo neue politische Kräfte erscheinen und um Unabhängigkeit gekämpft wird. Gesunder Opportunismus, Courage und unabhängiges Denken machen einen Neustart aus. Denn wo alle dasselbe denken, wird nicht viel gedacht.

Dieser Satz ist ein gutes Stichwort, um über die Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen in Belarus zu sprechen – nicht nur in diesem Jahr, sondern auch 2010 und 2006. Seit mehr als 15 Jahren lässt sich Ähnliches auch für die Parlamentswahlen feststellen. Genauer: Für allen Wahlen, in denen auch Sergej Gajdukewitsch kandidiert hat.

Wo alle dasselbe denken, wird nicht viel gedacht

Seit fast 20 Jahren wiederholt Alexander Lukaschenko, dass er keine Angst vor der Opposition habe und dass dies ein Beispiel und eine Grundlage für Demokratie darstelle, auf der das politische System seines Landes fuße. Außerdem hat er mehrfach in der Öffentlichkeit andere dazu aufgefordert, an der Wahl teilzunehmen und ihn herauszufordern. Mit seinen eigenen Worten: "auf Augenhöhe".

Um den Mut des amtierenden Präsidenten zu demonstrieren, ist – wie auch in den vergangen Jahren – das transparenteste Element des Wahlkampfes das Registrieren und Sammeln von Unterschriften für die Unterstützung der Kandidaten. Die Bestätigung der benötigten 100.000 Unterschriften durch die zentrale Wahlkommission ist ein anderes Thema. Der Staatsapparat ist gut darauf vorbereitet: Die notwendige Anzahl an Unterschriften wird gewöhnlich für "ausgewählte" Kandidaten sichergestellt. Das war 2006 und 2010 der Fall – und es sieht nicht danach aus, als wäre es 2015 anders.

Der ewige Kandidat Gajdukewitsch

Sergej Gajdukewitsch wurde 1954 in Minsk geboren und seine Karriere war fast ausschließlich mit der Armee verbunden. Er schloss sein Studium an der Hochschule für Flugabwehrraketentechnik ab und trat anschließend in die sowjetische Armee ein. Dort wurde er zum Oberstleutnant befördert. Einer seiner größten Erfolge war eine Stelle als Militärberater im Irak in den frühen 1980er Jahren. Der Fall der Sowjetunion und die frühen 1990er waren nicht die besten Zeiten für Gajdukewitsch. Bis 1994 arbeitete er in unbedeutenden Positionen. Ein Meilenstein seiner Karriere ist die Liberal-Demokratische Partei. 1995 wurde er ihr Vorsitzender. Ein Vergleich der Parteinamen mit seinem russischen Äquivalent ist absolut berechtigt. Ebenso wie die politische Rolle der Anführer beider Gruppen: Gajdukewitsch und Wladimir Schirinowski. Beide Parteien verfolgen ein ähnliches Programm. Sie unterstützen die Integration der ehemaligen UdSSR-Länder und den Revisionismus. Beide ähneln einer gut geölten Propaganda-Maschinerie großer Koalitionsmitglieder. Im Großen und Ganzen haben beide Parteiführer dieselbe Aufgabe: die Dinge zu sagen, welche die zentralen Behörden nicht aussprechen möchten, die aber manche der radikaleren Bürger gerne hören würden. Beide Parteien verfügen über einen weiteren gemeinsamen Nenner: Mit dem Wort "Diplomatie" sind sie nicht vertraut. Nichtsdestotrotz unterscheiden sich die Parteien, wenn es um den Platz der Anführer auf der politischen Bühne geht. Im Gegensatz zu Schirinowski ist Gajdukewitsch nicht bekannt für radikale Aussagen. Überhaupt scheint er keine besonderen Eigenschaften aufzuweisen. Er ist einer von vielen treuen Mitgliedern des Machtapparats.

Seit 2004, als Alexander Lukaschenko nach einem Referendum die Chance gegeben wurde, nochmals an den Wahlen teilzunehmen, war Gajdukewitsch zur Stelle – mal mehr, mal weniger, abhängig von den Umständen und der Notwendigkeit, die Opposition mit heftiger Wahlkampfrhetorik zu bekämpfen. Darüber hinaus stellte Gajdukewitsch durch seine Kandidatur sicher, dass Lukaschenko nicht der einzige Kandidat ist. Nach dem Präsidenten ist er der zweite, der seine Teilnahme an den bevorstehenden Wahlen verkündete. Lukaschenko bewertete das wie folgt: "Es nichts falsch an der Opposition, vorausgesetzt, sie weiß, was das Wohlbefinden der Nation und des Landes bedeutet und kennen ihren eigenen Platz."

Strategische Rolle bei den Wahlen

Gajdukewitsch tauchte schon vor 1995 auf der politischen Bühne auf. Seine Loyalität wurde jedoch 2006 auf eine schwierige Probe gestellt. Zwei Jahre nach dem Referendum, das Lukaschenkos Amtszeit verlängerte, war die Situation Belarus' so instabil wie seit 1994 nicht mehr. Dies war das Ergebnis von sowohl innenpolitischen als auch internationalen Entwicklungen. Es war die Zeit der Farbenrevolutionen, die Situation in Georgien wurde ernster, und Lukaschenko stand vor der Herausforderung, das Referendum als legitim zu bestätigen. Tatsächlich nahm dies keinen Einfluss auf die Beziehungen zum Westen, aber die Aktivitäten der Opposition im Land hätten zunehmen können.

Im Rückblick auf die Ereignisse im Jahr 2006 war Ales Bialiatski, einer der bedeutendsten Oppositionskandidaten zu dieser Zeit, die einzige Person seit der Lukaschenko-Kebitsch-Konfrontation, die eine Chance gehabt hätte (wenn auch nur eine geringe), Lukaschenko gefährlich zu werden. Hier leistete Gajdukewitsch zwei Dienste. Zum einen trennte er das Image der Liberal-Demokratischen Partei von den restlichen regimetreuen Gruppen. Zum anderen sollte er so viele Stimmen wie möglich bei potentiellen Wählern von Ales Bialiatski fischen.

Gajdukewitsch erfüllte seine Rolle sehr gut. Er bekam 3,5 Prozent aller Wählerstimmen – nicht das schlechteste Ergebnis in Belarus. Darüber hinaus begann der Kandidat der Liberal-Demokratischen Partei am Ende der Kampagne sein künstliches Oppositionsimage abzulegen und gegen die anderen Kandidaten (mit Ausnahme von Lukaschenko) zu wettern, dass diese dem Staat schaden würden. Er war aggressiv und provozierte. Dies gab Lukaschenko die Möglichkeit, noch in den letzten Tagen ein Image zu kreieren, dass ihn als eine Person darstellte, die für die Einheit der Nation steht, über allen Streitigkeiten erhaben ist und die Unabhängigkeit des Landes wahrt. Dank Gajdukewitsch konnte sich Lukaschenko politisch absichern. Um zu zeigen, dass die Demokratie im Land ernst genommen werde, verbreiteten Lukaschenko-Unerstützer das Gerücht, dass sogar Lukaschenko für Gajdukewitsch als einzigen vernüftigen Oppositionskandidaten stimmte. Dafür wurde er belohnt – bald auf die Wahlen wurde er zum Sonderbeauftragten des Außenministeriums ernannt und somit verantwortlich für die Kommunikation mit der EU. Im Jahr 2010 war seine Rolle weitaus unbedeutender. Er beschloss, sich nicht als Prasidentschaftskandidat aufstellen zu lassen. Das bedeutete jedoch nicht dass er mit den Attacken auf die Opposition aufhörte. Tatsächlich ereignete sich das genaue Gegenteil.

Karatkewitsch als Nachfolge?

Diesen Oktober wird Gajdukewitsch wieder kandidieren. Dies werden seine dritte Aufstellung und seine vierte Registrierung bei der Zentralen Wahlkommission sein. Seine Bedeutung für die Wahl ist nicht zu verheimlichen. Auf der einen Seite ist er Lukaschenkos Sicherheitsanker. Auf der anderen Seite kann er die Stimmen derjeniger auf sich vereinigen, die nicht mehr länger das Regime unterstützen möchten. Seine Kandidatur könnte sich noch als entscheidend erweisen. Nach Angaben belarussischer Medien von Anfang September, scheint es wahrscheinlich, dass nur vier Kandidaten um die Präsidentschaft buhlen werden: Alexander Lukaschenko, Sergej Gajdukewitsch, Tatjana Karatkewitsch und Nikolai Ulachowitsch.

Zwischenzeitlich wird die Kandidatur von Tatjana Karatkewitsch von Gerüchten und Unsicherheiten begleitet. Sie wurde harsch von dem ehemaligen politischen Gefangenen Mikalaj Stakewitsch kritisiert. Karatkewitsch beharrt darauf, nichts mit Regime zu tun zu haben, obwohl sie gegenüber Lukaschenko und der derzeitigen Situation im Land nur einen sehr sachten Tonfall anschlägt. Die Frage, die sich bis nach der Wahl halten wird, lautet: Ist sie der neue Gajdukewitsch, eine weitere Kandidatin, deren Rolle einzig und allein darin besteht, den Wahlen ein gewisses Maß an Glaubwürdigkeit zu verleihen – vor allem für die Wahlbeobachter und die EU-Staaten?

Autor

Bartosz Rutkowski

ZURÜCKarrow

PARTNERSCHAFT

Das Teaserbild ist eine Bearbeitung von "Belarus" von Marca Veraarta, es steht unter CC-BY-Lizenz.