powered by eastbook
Susanne Maslanka, Anne Reis

Keine Wahl am Wahltag

Obwohl Lukaschenko recht beliebt unter der belarussischen Bevölkerung ist, gibt es einige Bürger, die mit der politischen Situation in ihrem Land unzufrieden sind. Während in demokratischen Ländern durch Wahlen Veränderungen herbeigeführt werden können, stehen die Gewinner in autoritären Regimen meistens vorher schon fest. Was also tun?

Läuft man dieser Tage durch die Hauptstadt Belarus‘ kann man die unzähligen Hinweise auf die bevorstehenden Wahlen kaum übersehen. Das „Event“ wird überall beworben: Plakate und Flaggen dekorieren die Straßen, Läden, Cafés, Restaurants und Schulen. Die Zeitungen sind voll mit Aufforderungen wählen zu gehen. Überall steht in großen rot-grünen Lettern, dass die Stimme jedes belarussischen Bürgers zählt. Sogar in der U-Bahn informiert eine freundliche Frauenstimme die Passagiere über die bevorstehenden Wahlen und die Möglichkeiten früher als am Wahlsonntag seine Stimme abgeben zu können.

Foto: Rainer Bobon

Die Wahlen sind in der Tat bedeutsam. Eine hohe Wahlbeteiligung ist für die Machthaber sehr wichtig, weshalb keine Kosten und Mühen gescheut werden, um die Bevölkerung an die Urnen zu bringen. Denn sie wird Alexander Lukaschenko dabei helfen, seine 5. Amtszeit zu legitimieren. In Minsk trafen wir dennoch einige Personen, die am Sonntag nicht zur Wahl gehen werden. „Wahlen? In diesem Land gibt es keine Wahlen“ entgegnen uns einige Gesprächspartner.

„Keine Wahlen in Belarus“

Was also soll man am Wahltag tun, wenn kein Kandidat zur Wahl steht, dem man vertraut? Der Stimmzettel gibt den Wählern de facto die Möglichkeit, „gegen alle“ zu stimmen. Gerüchten zufolge scheint aber genau diese Variante besonders anfällig für Wahlfälschungen zu sein – die Kreuze auf diesem Wahlzettel scheinen sich wundersam in Pro-Lukaschenko-Stimmen zu verwandeln, wie wir von mehreren misstrauischen Nicht-Wählern hören. Eine weitere Möglichkeit ist, die Wahl zu boykottieren. Doch das schützt die Wählerstimmen ebenfalls nicht vor Missbrauch. Das gibt den so genannten Karussellwählern die Möglichkeit, ihre Stimme in einem anderen Wahllokal nochmals abzugeben. Zudem ist der Boykott nicht so einfach umzusetzen, wie vielleicht gedacht – besonders wenn man in einem staatlichen Unternehmen arbeitet oder an einer belarussischen Universität studiert. Viele Belarussen werden unter Druck gesetzt und manche sogar aktiv dazu gezwungen, ihre Stimme abzugeben.

Mikita Semianenka hingegen gibt ganz offen zu, dass er die Wahllokale am Sonntag nicht aufsuchen wird. Letztes Jahr wollte sich der 20-Jährige für die Kommunalwahlen aufstellen lassen, er konnte sogar mehr als die 150 benötigten Unterstützerunterschriften sammeln. Die Wahlkommission ließ ihn trotzdem nicht antreten. Begründung: Die 172 vorgelegten Unterschriften seien gefälscht. Um trotzdem an den Wahlen beteiligt zu sein, entschied sich der politisch interessierte Minsker Student dazu, unabhängiger Wahlbeobachter zu werden. Das blieb nicht folgenlos, bereits kurz nach den Wahlen wurde er von der Belarussischen Staatsuniversität verwiesen. Da Semianenka politisch motivierte Gründe hinter seinem Rausschmiss vermutete, beschloss er sein Studium in Polen fortzusetzen. Nach diesen Erfahrungen boykottiert er die diesjährige „Wahlfarce“. „Ich möchte nicht an diesem Theater beteiligt sein“, sagt er.

Zum Wahlboykott aufzurufen, ist in Belarus illegal

Die Leiterin der belarussischen Zentralen Wahlkommission, Lidija Jermoschina, verurteilt den Wahlboykott zutiefst. „Ich sage ganz offen heraus, dass solche Aufforderungen illegal und unverantwortlich sind. Ein erwachsener Mensch sollte genau wissen, dass Wahlen in jedem Land unabdingbar sind. Diese Leute sollten wissen, wie viel Geld in diese Wahlkampagne fließt sowie in jede andere auch“, so Jermoschina auf einer Pressekonferenz. Die staatliche Nachrichtenagentur Belta notiert weiter: „Sie haben kein Recht dazu, ihr Realitäts- sowie Verantwortungsbewusstsein abzulegen, indem sie zum Boykott der Wahlen aufrufen.“ In der Tat wird der Aufruf zum Wahlboykott mit hohen Strafen bis zu Freiheitsentzug geahndet.

Foto: Charter 97

Auch Semianenka ist sich dessen bewusst und ruft deshalb nicht direkt zum Boykott auf wie es prominente Oppositionelle tun. Stattdessen hat er eine Facebook-Veranstaltung mit dem Namen „Ich werde nicht zur 5. „Wahl“ von Lukaschenko gehen“ erstellt. Um die 350 Belarussen nehmen an diesem „Event“ teil. Es geht dem Studenten nicht nur darum, andere Menschen zum Boykottieren zu motivieren, sondern all diejenigen zusammenzubringen, die mit der aktuellen politischen Situation in Belarus unglücklich sind. Seine Botschaft: „Du bist damit nicht alleine.“ Er glaubt daran, dass ein Boykott-Sticker in der U-Bahn oder die Zusagen zu dem Facebook-Event die weniger politisch Interessierten dazu anregen könnten, über die Bedeutung der bevorstehenden Wahlen nachzudenken. Semianenka möchte seine Mitbürger davon überzeugen, dass Einigkeit und Zusammenarbeit unabdingbar dafür sind, um einen Wandel in Belarus herbeizuführen. Ein Appell der sich auch an die gespaltene belarussische Opposition richtet.

Sein aktiver Boykott wird Lukaschenkos Regime am 11. Oktober nicht zum Sturz bringen, darüber ist sich Semianenka im Klaren. Höchstwahrscheinlich werden er und andere, die die Idee des Boykotts weitaus offener bewerben, nicht genug Menschen bewegen können, der Abstimmung fernzubleiben, so dass die die Wahl wegen zu geringer Beteiligung annulliert werden müsste. Auch bei vorherigen Wahlen wurden Boykottkampagnen gestartet, zuletzt 2012 bei den Parlamentswahlen. Jedoch konnte auch damals die Idee nicht weit genug getragen werden. Die Ressourcen reichten dafür nicht aus. Semianenka geht von etwa 3.000 Belarussen aus, die in diesem Jahr aktiv die Boykott-Idee unter den Wahlberechtigten verbreiten. Er unterscheidet dabei zwischen drei Gruppen: „Erstens sind da die früheren Präsidentschaftskandidaten‚ Mikalaj Statkewitsch und Wladimir Nekljajew, die bei öffentlichen Auftritten und Demonstrationen zum Boykott aufrufen.“ Darüber hinaus nennt er unterschiedliche unabhängig voneinander agierende Gruppen, die Boykott-Sticker verteilen und das Thema im Internet diskutieren. „Eine dritte Gruppe verbreitet Flugblätter mit der Aufforderung die Wahlen zu ignorieren“, erklärt Semianenka.

Aufruf die Wahl zu ignorieren. Foto: Daniel Marcus

Boykott - mehr als nur nicht zur Wahl zu gehen

Sein Ziel ist aber weitaus höher gesteckt als nur die Wahlbeteiligung niedrig zu halten. Er möchte einen Wandel in der belarussischen Gesellschaft herbeiführen. Ihm zufolge sei die Kultur der beste Weg, um etwas zu bewegen. Zumal politisches Engagement in Belarus durchaus gefährlich sein kann. Allerdings lässt Lukaschenko Kulturschaffenden in letzter Zeit mehr Raum. Beispielsweise konnten einige private Galerien in Minsk eröffnet werden, kleinere kulturelle Veranstaltungen finden statt und sogar die staatlichen Medien berichten nun häufiger über Kunst und Literatur. Semianenka liegt besonders die Verbindung von Kulturellem und Politischen ebenso wie die Etablierung von unterschiedlichen NGOs und anderen Projekten am Herzen. „Wenn mehrere Menschen sich im zivilgesellschaftlichen Bereich engagieren, kann sich nach und nach eine kritische Masse entwickeln“, glaubt Semianenka. „Diese ist dann vielleicht dazu im Stande, die Gesellschaft zu verändern.“ Dieser Prozess könne demokratische Werte weitaus besser vorantreiben als Wahlen, die, wie er findet, „momentan nicht mehr als ein politisches Ritual darstellen“.

In der Kastritschnickaja Straße in Minsk trifft klassisches Wahlposter auf modernes Graffiti. Foto: Daniel Marcus

Autorinnen

Susanne Maslanka beschäftigt sich mit Belarus, seitdem sie 2009-2010 einen Freiwilligendienst in der Kleinstadt Pinsk im Süden des Landes geleistet hat. Zurzeit studiert sie Osteuropastudien in München.

Anne Reis studiert Osteuropastudien in München.

ZURÜCKarrow

PARTNERSCHAFT

Das Teaserbild ist eine Bearbeitung von "Belarus" von Marca Veraarta, es steht unter CC-BY-Lizenz.