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Konstanty Chodkowski

Belarus’ progressivste Aktivisten: Die „Zmahary“

Manche halten sie für Nationalhelden. Für Andere sind sie Ziel von Witzen und Objekt der Häme. Manchmal werden sie als belarussische Hardliner dargestellt, ein anderes Mal als Nationalisten und Internet-Trolle. Bühne frei für die „Zmahary“.

Es ist ein entspanntes abendliches Gespräch in der kleinen Küche einer typisch sowjetischen Plattenbauwohnung. Sie liegt im Zentrum von Vitebsk im Osten von Belarus. Bei der zweiten Tasse Tee beginnt Irina, eine junge belarussische Studentin, die Geschichte der „Zmahary“ und ihrer Tradition zu erzählen. Das Wort kommt vom belarussischen Verb „змагацца“, was „kämpfen“, „ringen“ oder „um etwas kämpfen“ bedeutet. Ihre Tätigkeit nennt sich dementsprechend „Zmaharstvo“ – „zmaharen“, oder ganz einfach „kämpfen“. Aus der Sicht der „Zmahary“ bedeutet das, alles in ihrer Kraft Stehende zu tun, um das von allen erträumte Ziel zu erreichen: In einem freien und unabhängigen Belarus zu leben. Allerdings halten viele Leute dieses Phänomen für ein weiteres Beispiel demokratischen machtlosen „Trollings“, vor allem im Internet.

Ein „Zmahar“ zu sein bedeutet, nicht mit dem gegenwärtigen autoritären Regime einverstanden zu sein und auf jede denkbare Weise gegen es zu agieren. Diese Definition zog vor kurzem als „Zmahar-Manifest“ auf dem viel besuchten Blog „1863x“ weite Kreise. Sie besagt: „Wir wollen uns weder an dieses Regime anpassen noch ihm dienen. Wir wollen unser Leben selbst kontrollieren. Wir wollen nicht unter irgendeinem Herren leben. Wir brauchen nicht mehr als Würde und Freiheit.“

Ein Treffen mit einem „Zmahar“

Vova im Zentrum für Moderne Kunst in Vitebsk (Foto: Marco Fieber)

Es ist nicht schwer, „Zmahary“ im Alltag zu finden. Wir haben Vova gefunden. Auf den ersten Blick scheint er eine undefinierbare Mischung zwischen einem politisch verrückten, einem äußert engagierten und einem alternativen Aktivisten zu sein. Aber nach einiger Zeit wird das Bild schärfer. Vova ist ein normaler junger Mann, der seit seiner frühen Kindheit in Vitebsk lebt. Er ist recht jung, wirkt seriös, ist gut ausgebildet, erfahren und hat gerade begonnen, im örtlichen Museum zu arbeiten. Ungewöhnlich an ihm ist, dass er konsequent Belarussisch spricht, auch dann, wenn seine Freunde ihn etwas auf Russisch fragen. Das durchzuhalten muss schwierig sein. Besonders in Vitebsk, wo fast jeder im Alltag Russisch spricht.

Vova beschreibt sich selbst als Kulturmanager, nicht als politischen Aktivisten. „Meine Lebenserfahrung dreht sich vor allem um das Organisieren von Kultur- oder Großveranstaltungen in der Stadt. Konzerte, Festivals und Bankette – das ist mein täglich Brot.“ Worin besteht aber bei solchen Tätigkeiten das „Zmaharstvo“?

Im Gespräch mit dem Autor (Foto: Marco Fieber)

Das Zentrum für Moderne Kunst in Vitebsk – Vova zeigt uns seinen Arbeitsplatz. Das Museum ist im Zentrum der Stadt zu Hause, in einem alten Gebäude aus der Zarenzeit. Auf den ersten Blick scheint es ein ruhiger und friedlicher Ort zu sein. Dieser Eindruck ändert sich, sobald man die Räume betritt. Jeder von ihnen ist voll von Kunstobjekten unterschiedlichster Art, die auf vielfältige Weise gestaltet und arrangiert wurden. Jede Ecke ist voll von Gemälden, jede Wand voller Farbe. Man spürt den Geist künstlerischer Rebellion. Auf so kleinem Raum hat man es geschafft, eine gut organisierte Kunstwerkstätte, mehrere Ausstellungsräume, eine Dauerausstellung und sogar einen Verkaufsraum einzurichten.

„Wir wollen nicht, dass diese Stadt langweilig ist“

Dieser Ort wurde von Vovas Freunden, anderen „Zmahary“, ins Leben gerufen. Sie haben damals bei Null angefangen. Ein leeres verfallendes Gebäude – das war alles, was sie zu Beginn hatten. Vova bestreitet, für den Staat zu arbeiten, der Ausdruck mit dem Staat ist ihm lieber: „In den vergangenen Jahren musste ich lernen, zu kooperieren“. Aber „kooperieren“ bedeutet nicht „aufgeben“, fügt er hinzu. Es bedeutet eher, „einen effektiveren und konstruktiveren Weg zu wählen, die uns umgebende Realität zu verändern“. Genau das tut er, indem er ein modernes, europäisches Kunstzentrum in der dafür unvorteilhaften belarussischen Umgebung betreibt. Keine zusätzlichen Fördermittel, keine moderne Finanzierung. Nur eine finanziell schlecht ausgestattete staatliche Einrichtung. „Die Arbeit ist sehr hart, aber wir wollen nicht, dass diese Stadt langweilig ist. Jeder Bürger hat das Recht, Kultur auf dem gleichen Niveau zu konsumieren, wie man das in Paris oder Berlin tut“, sagt er.

„In Belarus kann man machen was man will – aber keine Politik“

Vova macht uns mit einem seiner Freunde bekannt. Vitali war früher politischer Aktivist, er wurde vom Regime verfolgt, jetzt arbeitet er an seiner Geschäftsidee und ist zusammen mit Vova im zivilgesellschaftlichen Projekt „Vitebsk4Me“ tätig. Vitali begrüßt seine Gäste in seiner kurz vor der Eröffnung stehenden Bar, die im Stil eines Irish Pub gehalten ist. Noch erinnert die Atmosphäre aber an das Zentrum für Moderne Kunst: ein kreatives Chaos.

In seinem zukünftigen Pub: Vitali (Foto: Marco Fieber)

Bis dahin war es ein langer Weg. Zusammen mit seinen Freunden war Vitali in mehreren linken alternativen Bewegungen tätig. Dann schloss er sich Alexander Milinkiewitschs Team für den Präsidentschaftswahlkampf 2006 an. Danach wurde er Opfer politischer Verfolgung. Einige Male wurde Vitali wegen illegaler politischer Aktivitäten verhaftet. Nach diesen Erfahrungen beschloss er, seine Vorgehensweise zu ändern, und aus dem politischen Aktivisten wurde ein professioneller Manager. Jetzt sieht sich Vitali als Künstler und Eventmanager. Er investierte Zeit und Geld, um eine konstruktive zivilgesellschaftliche Organisation aufzubauen, aus der bald schon ein florierendes Geschäft wurde. Viele andere „Zmahary“ beschritten ähnliche Wege.

Mehr als Trolling

Es braucht nicht viel Zeit um festzustellen, dass die „Zmahary“ sich auch Hohn und Spott ausgesetzt sehen, vor allem im Internet. Einer der beliebtesten Witze über sie ist folgender: „Wie viele ,Zmahary’ braucht man, um eine Glühbirne zu wechseln? – Keinen einzigen, denn ,Zmahary’ können gar nichts ändern“. Dieser Sichtweise liegt das Stereotyp des Oppositionellen, der vor allem während politischer Meetings und in den sozialen Netzwerken aktiv ist, zugrunde. Sie zeichnet das Bild von Aktivisten, die mit aller Kraft die gegenwärtige belarussische Obrigkeit kritisieren, ohne konkurrenzfähige politische Ideen zu haben. Ihre Aktivitäten werden für „politisches Trolling“ erachtet. Doch das ist nicht die ganze Wahrheit. Die „Zmahary“ haben nur die Strategie geändert, mit der sie die Gesellschaft wandeln wollen. Was Vova, Vitali und viele andere „Zmahary“ in Belarus verbindet, ist ihr starker Wille, dieses Land lebenswerter zu machen.

Junge Künstler aus Vitebsk bei der Realisierung ihrer neuesten Kunstwerke. (Foto: Marco Fieber)

Es ist nicht wichtig, ob ihre Tätigkeit sich um die Errichtung eines Kulturzentrums oder eines prosperierenden Pubs dreht. Alles was sie tun ist auf die Idee von tief greifendem Wandel ausgerichtet. Das ist die Essenz des „Zmaharstvo“ – neue Räume für Freiheit und Zivilgesellschaft, für echte soziale Entwicklung zu schaffen. In einem Land wie Belarus sind sie dabei auf sich allein gestellt. Um effektiver zu sein, müssen sie alle klassischen Methoden des politischen Kampfes beiseite legen. Wie Vitali sagt: „Man kann nicht im permanenten Kriegszustand mit der Regierung leben. Früher oder später wirst du einsehen, dass du auf Kompromisse angewiesen bist, damit alles funktioniert.“

Autor

Konstanty Chodkowski ist Journalist bei Eastbook.eu und Mitglied der Polnischen Geopolitischen Gesellschaft.

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PARTNERSCHAFT

Das Teaserbild ist eine Bearbeitung von "Belarus" von Marca Veraarta, es steht unter CC-BY-Lizenz.